Vom Umgang mit der Vergangenheit - Einige polemische Gedanken zur modernen Theologie

Veröffentlicht auf von Bonaventura

In einer Zeit, in der sich die Welt immer schneller zu drehen scheint, in der eine Innovation die nächste jagt, hat das Wort Vergangenheit keinen guten Ruf. Nicht einmal die Gegenwart scheint eine größere Bedeutung zu haben, nur die Zukunft ist es, die man im Auge hat. Immer noch träumt die Menschheit von grenzenlosem Fortschritt in Wissenschaft und Technik. Die Vergangenheit aber, das sind nur Episoden, die höchstens noch für den Historiker interessant sind, für unsere Zeit aber keinerlei Bedeutung mehr haben.

Dass diese Einschätzung im Bereich der profanen Gesellschaft weitgehend zutrifft, dürfte schwer zu widerlegen sein. In jedem Bereich der Wissenschaft lautet die Parole: Fortschritt! Was heute modern ist, ist morgen bereits veraltet! Wie aber sieht es in der katholischen Kirche aus, die doch in besonderem Maße mit der Vergangenheit in Verbindung stehen sollte? Ist doch die Tradition, die Überlieferung die zweite Offenbarungsquelle neben der Heiligen Schrift. Wie steht es diesbezüglich um die katholische Kirche im 21. Jahrhundert?

Machen wir ein kleines Gedankenspiel: nehmen wir an, ein Heiliger aus dem Mittelalter wie der hl. Thomas von Aquin wacht am Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Würde er die katholische Kirche wieder erkennen? Nun, er wäre gewiss verwundert über so manche Veränderungen, die geschehen sind, wäre sicher erstaunt über den gewaltigen wissenschaftlichen Fortschritt, der sich seit dem Mittelalter vollzogen hat und würde sicher einige Zeit brauchen, um sich zu akklimatisieren. Aber ich denke er würde dennoch in der Kirche am Beginn des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen die katholische Kirche wieder erkennen. Die Liturgie, auch die seines Ordens, hat sich gegenüber dem Mittelalter nur unwesentlich verändert, die Ordensdisziplin war auf einem hohen Niveau, die Päpste sind unbeirrbar auf dem Weg der Wahrheit gewandelt, die katholische Wissenschaft blühte auf. All das wären für Thomas gewiss sichere Anzeichen dafür, dass es der katholischen Kirche, der er so treu gedient hat, gut geht, dass sie immer noch in Blüte steht. Wie aber würde seine Reaktion ausfallen, wenn er nicht am Beginn, sondern am Ende des 20. Jahrhunderts aufgewacht wäre? Würde er die katholische Kirche immer noch wieder erkennen? Was würde er sagen, wenn er die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils oder die Bücher moderner Theologen, die bei den letzten Päpsten in hohem Ansehen standen, lesen würde? Wie wäre seine Haltung gegenüber einer Kirche, die nahezu jede Häresie duldet, die glaubenstreuen Priester und Bischöfe hingegen mit äußerster Härte behandelt? Gewiss, man kann sagen, das sind alles nur Gedankenspiele, der hl. Thomas ist nicht ins 20. Jahrhundert zurückgekommen, weder an den Anfang noch an das Ende, und er wird auch in unserem 21. Jahrhundert nicht plötzlich auftauchen und uns seine Meinung zur Situation der Kirche in unserer Zeit kundtun. Das ist wahr, aber das Gedankenspiel ist dennoch reizvoll und ich glaube, dass die Antworten, die der Aquinate uns geben würde, eindeutig wären.

Die katholische Kirche hat im 20. Jahrhundert ihre Vergangenheit in einem Maße verraten, dass man sprachlos werden könnte. Wie hat das geschehen können? Wie hat der Geist der Lüge von so vielen Gliedern der Kirche Besitz ergreifen können?

Man spricht seit Jahrzehnten von Fortschritt, von Geschichtlichkeit und Heilsgeschichte, von Neuevangelisierung und geistlichen Aufbrüchen. Auf der anderen Seite werden so viele Priester und Bischöfe nicht müde, die Vergangenheit und hier besonders den Zeitraum zwischen 1850 und 1950 in ein negatives Licht zu rücken. Hier sind Rückständigkeit, ungeschichtliches Denken und Starrheit die Schlagworte. Muss sich nicht einem Unbeteiligten, der derartige Dinge vernimmt, die Frage aufdrängen, ob das denn alles so stimmt? Einen Baum kann man gut an seinen Früchten beurteilen. Den modernen Theologen zufolge, ob sie nun Eugen Biser, Walter Kasper oder Gerhard Ludwig Müller heißen, müsste der nachkonziliare Kirchenbaum unzählige köstliche Früchte tragen. Doch schon ein erster flüchtiger Blick zeigt: er tut es nicht! Er trägt Früchte, gewiss, aber es sind faule, giftige Früchte, die den ganzen Baum zu verderben drohen. Die Gärtner aber tun nicht das Geringste, um den Baum zu kurieren, im Gegenteil, sie preisen unbeirrt von jedweden Tatsachen die faulen Früchte an. Das muss jeden, der an dem alten Grundsatz festhält, dass es gegen Tatsachen keine Argumente gibt, in höchstem Maße befremden. Einen Kampf gegen Tatsachen kann man nur verlieren. Das wissen auch die modernen Theologen. Also muss man andere Wege gehen, um die eigene Ideologie retten zu können. Der ärgste Feind des modernen Theologen, der dem Relativismus verfallen ist, ist der Begriff einer objektiven Wahrheit, diesen fürchtet er wie der Teufel das Weihwasser. Und das deshalb, weil dieser Begriff spielend leicht alle relativistischen Luftschlösser zum Einsturz bringt. Also gilt es den Begriff der objektiven Wahrheit zu bekämpfen, wo es nur geht. Aber nicht etwa mit rationalen Argumenten, nein, vielmehr in den meisten Fällen mit bloßen Postulaten. Betrachtet man einige gängige Prämissen, die von vielen modernen katholischen Wissenschaftlern fraglos vorausgesetzt werden, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier nur wenige Beispiele: Es kann kein zurück hinter das kantische „Reflexionsniveau“ geben. Eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Der Dialog mit der modernen Welt ist Theologenpflicht. Die klassische katholische Glaubenssprache ist für den modernen Menschen unverständlich.

Diese Liste lässt sich beliebig verlängern. Allen diesen Prämissen ist gemein, dass sie aus Sicht der modernen Theologen nicht hinterfragbar sind. Sie müssen die Grundlage alles sog. „Forschens“ bilden. Wer sie nicht akzeptiert, wird als unwissenschaftlich stigmatisiert. Ist es nicht den wenigen katholischen Wissenschaftlern, die in den letzten Jahrzehnten den Anschluss an die Scholastik gehalten haben, genau so ergangen? Professor Walter Hoeres sei als prominentes Beispiel in dieser Sache genannt.

Natürlich springt dem vernünftigen und in der Sache kundigen Menschen sofort in die Augen, dass die Dogmen der modernen Theologie viel stärker und viel erbarmungsloser sind als diejenigen der „alten“ Theologie. Früher war es Christenpflicht, an die Wahrheiten zu glauben, die Gott uns zu unserem Heil geoffenbart hat, heute muss ich glauben, dass der Dialog mit modernen Philosophien oder anderen Religionen absolut notwendig sind, wenn ich dem Bannstrahl der toleranten und dialogbereiten Nachkonzilstheologen entgehen will.

Aber zurück zur Vergangenheit. Diese stellt in den Augen der selbsternannten Reformer etwas Anstößiges dar, etwas, das höchstens verwertbar ist, wenn es von allen Elementen gereinigt ist, die nicht in die eigene Ideologie passen wollen. Eine Annahme der ganzen Tradition darf es nicht geben, obwohl man heuchlerisch lautstark verkündet, man habe im Laufe des 20. Jahrhunderts den Blick auf die ganze Tradition wieder gefunden!

Natürlich ist es schwer, gegen die modernen Theologen anzukommen. Sie sind immer noch in der Überzahl und für rationale Argumente (im klassischen Sinn) nicht zugänglich. Sie leben in einer Art Superkirche, die erst seit einem halben Jahrhundert existiert, wir Katholiken hingegen leben in der verstaubten und unzeitgemäßen katholischen Kirche, die es seit 2000 Jahren gibt. Wir aber kommen damit zurecht, dass die Kirche oftmals Entscheidungen getroffen hat, an denen die Welt oder der jeweilige Zeitgeist Anstoß genommen hat. Wir nehmen die katholische Kirche vollständig an, ohne nach eigenem Gutdünken das auszuscheiden, was uns als Ärgernis erscheint. Unbeirrbar müssen wir unseren Kampf weiterkämpfen, mit dem Schwert der Wahrheit ausgerüstet werden wir gewiss über den Feind triumphieren!
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